Clothildes Bahnhöfe sind überall. Jeder kann zusteigen oder zwischendurch aussteigen, das Tempo bestimmen die Passagiere. Diese Erfahrung haben wir jetzt machen dürfen: per Schleswig-Holstein-Express zu Fuß durch die Stadt. Klingt, zugegebenermaßen sehr nach Tanzen auf Pflasterbildern mit Mary Poppins, aber da ich nicht weiß, ob Clothilde Mary Poppins kennt, möchte ich diesen Vergleich gar nicht ziehen.
Für den Schleswig-Holstein-Express brauchen wir nur zwei lange Stangen. Besenstiele würden es auch tun, aber es macht viel mehr Spaß, sich selbst lange Stöcke zu suchen. Wir haben jetzt einen Birkenast und einen anderen, von welchem Baum ist unerheblich. Wichtig ist, dass die Stöcke lang genug sind und gut von allen festgehalten werden können. Also nicht zu dick und nicht zu dünn.
Dann stellen wir uns hintereinander auf, mit etwa einer Armlänge Abstand. Jeder hält sich rechts und links an einem Stock fest. Und dann, „Vorsicht an der Bahnsteigkante“ und der Zug setzt sich in Bewegung.
„Nächster Halt, Löwenbrunnen!“, ruft Martin, der Lokführer. Lachend und mit Zuggeräuschen „fahren“ wir durch die Fußgängerzone. Heute ist Markt, die Stände huschen nur so an uns vorbei. „Ob wir für einen genaueren Blick kurz halten können?“, schießt mir durch den Kopf. Nein, der Lokführer hat es eilig – wie immer. Mein quirliger Sohn beschleunigt noch einmal und steuert uns sicher durch die kleine Gasse zwischen den Ständen.
„Ach, sie packen schon ein“, mit Bedauern stelle ich das fest. Nichts mit Marktbummel auf dem Rückweg. „Nicht traurig sein, Mami“, meint Magdalena, während sie sich kurz zu mir herum dreht. Dann ertönt ein schriller Pfiff. Wir haben unser Ziel erreicht und landen lachend auf der Bank am Brunnen.
„Nochmal!“ Hab ich das gesagt? Meine Kinder klatschen begeistert Beifall. Und schon stellen wir uns wieder auf, diesmal mit Lokführerin Magdalena.
„Nächster Halt, Stadtbücherei!“, ruft sie und führt uns sicher über die Straße. Der Weg ist kurz, trotz Ehrenrunde um den Parkplatz. Vor der Bücherei müssen unsere Schienen, oder ist es die Lok, geparkt werden. Mit mulmigem Gefühl im Bauch stellen wir unsere Stöcke an die Hauswand, ein bisschen verdeckt von einer Hecke. Werden sie noch dort stehen, wenn wir wieder draußen sind? „Beeilen wir uns lieber“, spricht Martin unser aller Gefühl aus.
Es ist nicht viel los in der Bücherei und unsere Bücher sind schnell zurück gegeben. „Heute nehmen wir nichts Neues mit, der Zug wartet.“ War das die Stimme meiner sonst so schüchternen Tochter? Die Dame am Ausgabetresen blickt uns irritiert an. „Ja, wir sind auf großer Fahrt“, unterstreiche ich lächelnd Magdalenas Worte. Wir verabschieden uns schnell und laufen aufgeregt zu unseren Schienen. Alles noch da.
„Einsteigen!“ Diesmal übernehme ich die Führung und der Schleswig-Holstein-Express zuckelt in Richtung Heimatbahnhof.
Besonders lustig ist die Zugfahrt, wenn wir statt normalem Gehen eher Wanken. Nicht nur die Kinder biegen sich dabei vor Lachen.
„Nicht so doll, Clothilde!“ Wer hat das eben gesagt? War es Martin, Magdalena oder war ich es sogar selbst? Clothilde ist immer noch bei uns und hat die Notbremse gezogen. Wir halten aprupt an. Verwirrt blicken wir einander an. Dann lachen wir aus voller Kehle und meine Kinder fallen mir um den Hals. Ein herrliches Gefühl. Und Clothilde? Clothilde klatscht lachend in die Hände und tanzt und singt und dreht sich. Sie liebt Kinderlachen und mein Lachen auch, das sehe ich in ihren Augen.